Interview mit Cem Özdemir von Bertan Boyacıoğlu
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Wer ist Cem Özdemir, also
wie würden sie sich selber beschreiben?
Cem Özdemir hat viele Facetten.
Er ist seit einigen Jahren Neu-Berliner. Er ist in Deutschland
geboren, die Eltern sind in den 60iger aus der Türkei in die
Bundesrepublik eingewandert. Er ist glücklicher Ehemann und
Abgeordneter des Europaparlaments.
Wie kommt man zur Politik
und was sind die Beweggründe, sich politisch zu engagieren?
Bei mir begann es in der
Schule. Ich war Klassensprecher, dann wurde ich Schülersprecher in
der Realschule, ich hab mich für Politik
interessiert. Und hatte dort auch ein paar Lehrer, die dieses
Interesse gefördert haben. Und Freunde vom Gymnasium haben mich auf
eine Versammlung der Grünen mitgenommen - das hat mir damals so gut
gefallen, dass ich mich spontan entschloss, Mitglied zu werden.
Anschließend war ich lange Zeit im Ortsverband aktiv, im
Kreisverband, in Bürgerinitiativen und irgendwann habe ich mich
entschlossen für den Bundesverband zu kandidieren. Dieser Prozess
hat also einige Jahre gedauert - von Plakate aufhängen, Infostände
machen, Veranstaltungen planen bis zur
Kandidatur und Wahlkampf.
Gab es irgendwelche
Probleme, sich als türkischstämmiger Politiker auf dem deutschen
Politikparkett durchzusetzen oder irgendwelche Vorurteile, denen Sie
irgendwie entgegentreten musste?
Ich bin ja in Deutschland
geboren und aufgewachsen und hab hier immer Politik gemacht. Ich hab
mich für eine Zugstrecke interessiert, die bei uns mal stillgelegt
war und mich dafür eingesetzt, dass sie wieder in Betrieb genommen
wird. Mittlerweile fährt der Zug auch wieder. Ich hab mich gegen
Atomkraftwerke für erneuerbare Energiequellen eingesetzt. Damals war
das ja noch durchaus ungewöhnlich und heute ist es ja
glücklicherweise Regierungspolitik.
Und dann ich habe mich auch für
Menschenrechtsfragen interessiert. Und als ich mich stärker
engagiert habe und zur Kandidatur entschloss, wurde ich auf einmal
ständig mit der Türkei konfrontiert. Damals stand ja das Thema „Kurden
und Menschenrechte“ im Mittelpunkt. Ich wurde ständig dazu gefragt,
eben weil ich türkischer Herkunft bin. Und ich hatte gar nicht das
nötige Hintergrundwissen, wollte mich deshalb auch gar nicht
dezidiert dazu äußern und fühlte mich auch gar nicht als Vertreter
dieser Sache. Auch meine eigenen Parteifreunde haben mich ständig
aufgefordert, mich zu äußern und Stellung zu beziehen. Obwohl ich
ein größeres Interesse an der Situation der in Deutschland lebenden
Türkischstämmigen hatte, setzte ich mich dann auch mit der Türkei
auseinander. Das ist durchaus ein Beispiel dafür, dass ethnische
Herkunft in der Politik und für die politischen Interessen eine
Rolle spielt. Aber als ich Abgeordneter des Deutschen Bundestages
wurde, lag mir sehr viel daran, deutlich zu machen: Ich äußere mich
als deutscher Staatsbürger und Europäer! Ich habe eine türkische
Herkunft, aber meine Loyalität gilt meiner Heimat und den Menschen,
die mich gewählt haben. Natürlich wird die Türkei immer ein
besonderes Land für mich bleiben. Das gilt ja für viele Menschen mit
Migrationshintergrund. Aber nichtsdestotrotz sollten sich Migranten
stärker politisch engagieren – und zwar in dem Land, in dem sie
leben!
Sehen sie sich gewissermaßen
als Vorbild für die Kinder der dritten, vierten Generation, die
einen ähnlichen Weg einschlagen wollen?
Vorbild ist ein sehr großes
Wort. Aber wenn ich dazu beitragen kann, das Jugendliche sagen:
„Wenn der es schafft, dann können wir es auch schaffen“, freut mich
das sehr. Ich freue mich auch darüber, für andere Menschen
türkischer Herkunft sich politisch erfolgreich engagieren. Im
Bundestag sitzt eine junge Abgeordnete der Grünen, Ekin Deligöz. In
Essen ist jetzt vor kurzem ein junger Türkischstämmiger grüner
Stadtrat geworden, ein ehemaliger Praktikant von mir, Burak Copur.
Und ich denke dabei auch an die vielen jungen Leute, die in
Unternehmen und ganz unterschiedlichen Bereich ihren Weg gehen, auch
wenn sie hin und wieder mit Schwierigkeiten konfrontiert werden.
Eines meiner Ziele ist es ausdrücklich, Nachwuchs zu fördern, damit
es mehr Migranten gibt, die diese Gesellschaft mitgestalten, sich
aktiv einbringen. Da bin ich aber nicht der einzige. Es gibt den
Schriftsteller Feridun Zaimoglu, den Regisseur, Fatih Akin, die
Schauspielerin Idil Üner und auch etliche Fußballspieler. Und wenn
jeder in seinem Bereich versucht, das Beste zu machen, glaube ich
auch daran, dass man Gesellschaft aktiv gestalten und verändern
kann.